Weibliche Solidarität? Girl, so confusing
Charli XCX, Lorde und die Komplexität von Frauenbeziehungen
Mitte März führte ein Radiosender ein Interview mit mir. Es sollte um mein neues Buch gehen, um weibliche Solidarität, um Schwesterlichkeit als feministische Praxis. Während der Sendung konnten Hörer:innen anrufen, Fragen stellen und mit dem Moderator und mir ins Gespräch kommen. Zwei Frauen riefen an – und beide wollten darüber sprechen, wie zickig Frauen anderen Frauen gegenüber am Arbeitsplatz seien und dass es Frauen immer nur darum gehe, Anerkennung von Männern zu bekommen. Es war eine Haltung, mit der ich schon während des Buchschreibens konfrontiert wurde. Mehrere Menschen sagten mir, ein Buch über Schwesterlichkeit sei eine große Herausforderung, schließlich würden Frauen immer nur streiten und eifersüchtig aufeinander sein. Von „Zickenkrieg“ war die Rede, von „Stutenbissigkeit“. Und diese Kommentare kamen nicht nur von Männern.
Mehr als ein sexistisches Klischee
Natürlich, zickige und permanent miteinander streitende Frauen sind ein sexistisches Klischee. Doch eines, in dem sich ein Stückchen Wahrheit verbirgt. Denn wenn Frauen sich untereinander unsolidarisch verhalten, dann auch deshalb, weil die Gesellschaft ihnen immer wieder einimpft, dass sie Rivalinnen sind. So werden Frauen gegeneinander ausgespielt. Hinzu kommt, dass sich für sie manchmal sogar Vorteile ergeben, wenn sie sich an gesellschaftliche Verhältnisse und Normalitätsvorstellungen anpassen: Indem sie andere Frauen abwerten, werten sie sich selbst auf.
Die US-amerikanische Autorin Tavi Gevinson nennt dieses Phänomen Girl Hate: Es werde so getan, als sei es für weibliche Menschen ganz natürlich, sich gegenseitig „anzuzicken“ und besser, beliebter, schöner sein zu wollen als die andere. So würden Neid, Missgunst und Unsicherheit befördert sowie die Vorstellung, es könnte immer nur „die Eine“ geben. Und wenn die Eine gewinnt, verliert die Andere. Hinter Girl Hate steckt letztendlich ein strukturelles Problem. Auch Frauen sind ein Produkt der Gesellschaft, in der sie aufwachsen: Sie reproduzieren viele der dort üblichen Haltungen, Ansichten, Rollen und Sexismen, oft unbewusst und unbeabsichtigt.
Eifersucht, so verwirrend
Das alles bringt mich zu dem Ereignis, welches diesen Sommer prägt (nein, nicht die Olympischen Spiele oder die anstehende US-Wahl): das phänomenal erfolgreiche und allgegenwärtige neue Album der britischen Künstlerin Charli XCX, brat (it’s brat summer!). Es hat mir persönlich nicht nur viele Ohrwürmer beschert, sondern mich auch zum Nachdenken gebracht. Über weibliche Solidarität, über Schwesterlichkeit.
Einer der Songs auf Charli XCXs Album heißt girl, so confusing und schnell waren sich Fans und Medien einig, dass es hier um niemand anderen geht als um die neuseeländische Musikerin Lorde.
Charli XCX singt, dass man sie und die (namenlose) Andere miteinander vergleichen würde, weil sie angeblich dasselbe Haar hätten und sich ähnlichsehen würden – dabei würde die Andere lieber Gedichte schreiben, während Charli XCX Parties schmeißt: „I think we’re totally different, but opposites do attract“.
Die Andere löst in Charli widersprüchliche Gefühle aus:
„Yeah, I don’t know if you like me
Sometimes I think you might hate me
Sometimes I think I might hate you
Maybe you just wanna be me
You always say, ‘Let’s go out’
So we go eat at a restaurant
Sometimes it feels a little bit awkward
‘Cause we don’t have much in common”
Sie würden, so Charli, darüber reden, gemeinsam Musik zu machen, aber sie wüsste nicht, ob das ehrlich gemeint sei. Sie könne nicht sagen, ob die Andere sie wirklich sehen wolle. So verwirrend! Es geht also um Eifersucht und Neid auf eine andere, erfolgreiche Frau. Und darum, wie man diese Gefühle nicht offen zugeben kann. Charli vermutet, dass die Andere ähnlich fühlt wie sie. Sind sie überhaupt befreundet? Was ist das zwischen ihnen?
„Let’s work it out in the remix”
Kurz nach der Veröffentlichung von girl, so confusing stellte sich heraus: Es geht in dem Song tatsächlich um Lorde, und nicht nur das – Lorde persönlich meldete sich auf dem Remix des Songs zu Wort („Let’s work it out on the remix“). Ihr Part klingt wie eine atemlose Sprachnachricht:
„You’d always say ‚Let’s go out’
But then I’d cancel last minute
I was so lost in my head
And so scared to be in your pictures”
Lorde gesteht, dass sie in den letzten Jahren einen Kampf gegen ihren eigenen Körper geführt habe. Sie habe gehungert, abgenommen, wieder zugenommen. Sie sei in ihrem Hass gefangen und eifersüchtig auf Charlis – von außen betrachtet – tolles Leben gewesen. Niemals hätte sie gedacht, dass Charli umgekehrt ebenso neidisch auf sie sein könne. Lorde gibt zu, dass sie sich schon früh einen Schutz zulegte habe, eine Rüstung. Jetzt sei ihr bewusst geworden, dass auch Charli so einen Schutz trage: „Forgot that inside the icon, there’s still a young girl from Essex”
Nicht nur ist The girl, so confusing version with lorde extrem catchy, der Song präsentiert auch eine interessante Art von Schwesterlichkeit und weiblicher Solidarität. Charli XCX und Lorde sind, beide auf ihre Weise, erfolgreiche Musikerinnen und seit vielen Jahren im Geschäft. Sie sind zwei Künstlerinnen, die – trotz der offensichtlichen Unterschiede in ihrer Präsentation und ihrem musikalischen Stil – miteinander verglichen werden. Sie sind zwei junge Frauen, die offenbar eine komplizierte Beziehung zueinander haben, und die nun offen darüber sprechen, was diese Beziehung kompliziert macht. Da ist der gesellschaftliche Sexismus und insbesondere der Sexismus in der Musikindustrie – männliche Musiker werden nicht auf die dieselbe Art miteinander verglichen, wie Charli XCX und Lorde. Es geht darum, wie Musikerinnen gesehen werden, wie und wer sie sein dürfen. Dann geht es darum, wie sie sich selbst sehen und was sie der Welt von sich zeigen, als Frauen, als Künstlerinnen. Und es geht darum, wie all diese Dinge sich überschneiden, ineinanderfließen.
Knallpinke Girl-Power-Version von weiblicher Solidarität
Herausgekommen ist dabei ein ambivalenter Dialog. Schwesterlichkeit, zeigen Charli XCX und Lorde, kann auch so sein: ein ehrlicher Versuch, sich mit eigenen Vorurteilen und „Girl hate“ gegenüber anderen Frauen auseinanderzusetzen. Sich einzugestehen, dass es vieles gibt, was Frauen trennt. Welche Rolle Gesellschaft und Kultur dabei spielen. Und: trotz allem eine Verbindung zu anderen Frauen zu suchen. Was Charli XCX und Lorde in einem circa dreieinhalb minütigen Song machen, fühlt sich realistischer und nuancierter an als das, was uns als Gegenbeispiel zum „Zickenkrieg“ oft präsentiert wird: eine knallpinke Girl-Power-Version von weiblicher Solidarität, bei der alle Konflikte, Unterschiede und gesellschaftliche Prägungen wie von magischer Hand verschwinden – und an ihrer Stelle nur noch Bilder von strahlenden Frauen bleiben, die sich in den Armen liegen oder sich gegenseitig mit „You go girl!“ anfeuern. Keine Spur von Eifersucht, keine Spur von Missgunst. Es ist eine Version von Feminismus, die allein darauf basiert, dass Frauen sich unterstützen.
Nicht so in The girl, so confusing version with lorde. Der Song hat mehr mit Elena Ferrantes neapolitanischem Quartett über eine komplexe Frauenfreundschaft zu tun als mit Taylor Swifts berühmt-berüchtigtem Squad oder Katy Perrys Versuch einer Empowerment-Hymne. Ziel des Songs ist nicht ein simples Zurschaustellen von Schwesterlichkeit: Es geht um Ambivalenz. Charli XCX und Lorde zeigen, wie komplex Beziehungen zwischen Frauen sind. Sie zeigen sich verletzlich, sie zeigen eine Seite von sich, die zumindest unschön ist. Das ist „confusing“, ja. Aber auch befreiend.
Liebe Julia, habe von diesen Sängerinnen noch nie gehört. Das hole ich aber nach. Mich freut sehr, dass diese Sängerinnen anders mit ihren Konkurrenzgefühlen umgehen und du darüber schreibst. Das war ja ein riesen Thema der 2. Frauenbewegung, deren Teil ich war. Heute heisst das interfeminine Konflikte (Dr. Anja Busse) und ist auch Bestandteil des Bechdel-Test. We should be all Feminists...💕