Frau Korbik // Wer schreibt wen?
Als ich jung war (na gut: jünger) waren meine Freundinnen und ich besessen von einem Song der Bochumer Punk-Band Die Kassierer. Der Song hieß Bin ich oder hab ich? und verhandelte folgende existenzialistische Frage: „Bin ich ein Körper oder hab ich ein Körper?“ Die achselzuckend vorgetragene Antwort darauf lautete: „Man weiß es, weiß es, weiß es wirklich nicht.“ Ehrlich gesagt denke ich heutzutage nicht besonders oft an Die Kassierer – es sei denn, sie planen, wie 2016, bei der Vorauswahl zum Eurovision Song Contest gegen Xavier Naidoo anzutreten („Zurzeit entwickeln wir mehrere Stücke mit ausgesprochenen Smashhit-Qualitäten, darunter ein flottes Diskostück“). Und ab und zu erinnere ich mich an den surrealistischen Auftritt von Kassierer-Frontmann Wolfgang Wendland bei Britt – Der Talk („Wolfgang: ‚Ich hasse Arbeit‘“).
Doch ausgerechnet beim Schreiben meines aktuellen Buchs kamen mir Die Kassierer in den Sinn. Nicht nur, weil ich viele Stunden am Schreibtisch verbrachte und meinen armen Körper (bin ich oder hab ich?) dabei ziemlich vernachlässigte. Sondern auch, weil ich mich mit einer Frage herumschlug, die es an philosophischer Tiefe mit dem Kassierer-Song aufnehmen kann: Schreibe ich das Buch – oder schreibt das Buch mich?
Eine Frage, die leicht zu beantworten sein sollte. Schließlich habe ich letztes Jahr ein Manuskript von circa 240 Seiten an meinen Verlag geschickt und auf dem fertigen Buchcover steht mein Name. Ich habe dieses Buch – alias Schwestern. Die Macht des weiblichen Kollektivs – definitiv geschrieben. Und gleichzeitig wurde ich geschrieben. Denn Buchschreiben ist ein seltsamer Prozess. Einer, der sich manchmal herrlich leicht anfühlt: Man tippt Seite für Seite, die Wörter fließen, es läuft. Einer, der sich manchmal frustrierend zäh anfühlt: Man schreibt einen Satz, löscht ihn wieder, fängt einen neuen Satz an, behält von ihm die Hälfte, hält inne, starrt ratlos auf den Computerbildschirm, überlegt, seufzt, und wenn man Stunden später den Laptop zuklappt, hat man vielleicht eine halbe Seite Text produziert. Die meisten Schreibtage sind irgendetwas dazwischen: zeitweise läuft es toll, zeitweise nicht. Das war bisher bei jedem Buch so, es wird vermutlich bei jedem weiteren Buch so sein. Trotzdem ist das Schreibgefühl bei jedem Buch anders, lerne ich Dinge über mich und das Schreiben.
Was ich damit sagen will: Die Bücher, die ich schreibe, überraschen mich immer wieder. Jedes meiner Bücher habe ich mit einem relativ detaillierten Plan begonnen – und dann akzeptiert, dass die eigentliche Form des Buches sich mir erst beim Schreiben erschließt. Meine Bücher kommunizieren mit mir. Sie teilen mir mit, wie sie geschrieben werden wollen. Das hat weniger mit Esoterik zu tun als vielmehr damit, dass ich mich in das Buch hineinschreiben muss, um zu verstehen, welche Art von Buch ich schreibe, was dieses Buch braucht. Und was nicht. Am Ende machte jedes meiner Bücher sein ganz eigenes Ding, zwang mir die Form auf, die es annehmen wollte. Jedes meiner Bücher hat mich ebenso geschrieben wie ich das Buch.
Als ich mein fertiges Schwestern-Manuskript ein letztes Mal durchging, war ich erstaunt, wie viele Ideen und Themen es aus dem Konzept ins Buch geschafft hatten – aber oftmals nicht so, wie ich es ursprünglich geplant hatte. Einige Dinge bekamen sehr viel weniger Platz im Buch, andere dafür sehr viel mehr. Auf das, was dabei herausgekommen ist bin ich sehr stolz. Was nicht bedeutet, dass ich im Nachhinein nicht doch hier noch etwas geändert oder da etwas hinzugefügt hätte. Es bedeutet nicht, dass ich keine Angst davor habe, wie dieses Buch aufgenommen wird. Ein Buch zu veröffentlichen, ist aufregend und schön. Und furchteinflößend. Man macht sich angreifbar, wird vielleicht falsch verstanden. Wenn ich sage, ich bin stolz, dann meine ich das nicht im Sinne von: Dieses Buch ist perfekt, es hätte nicht besser sein können. Vielmehr bin ich stolz darauf, wie hart ich an dem Buch gearbeitet und wie ich aus den vielen Gedanken, Ideen und Visionen in meinem Kopf etwas geschaffen habe, von dem ich glaube, dass es so in der Welt noch nicht existiert.
Das Schreiben von Schwestern hat mich gezwungen, mir sehr genau zu überlegen, wie ich was sage. Es hat mir erlaubt, zu denken und meine Haltung zu bestimmten Themen und Ereignissen zu formulieren. Es hat mich dazu gebracht, mich so intensiv und kritisch mit meinem eigenen Feminismus auseinanderzusetzen wie schon lange nicht mehr. Insofern: Ja, dieses Buch hat mich geschrieben. Schön oder einfach war das nicht immer, aber bereichernd. Nicht zuletzt deshalb, weil ich endlich wieder Bin ich oder hab ich? hörte. Der perfekte musikalische Abschluss, um sich nach einem langen Schreibtag daran zu erinnern, dass ich sowohl ein Körper bin als auch einen Körper habe – und sowohl schreibe als auch geschrieben werde.
Schwestern. Die Macht des weiblichen Kollektivs erscheint am 30. Januar 2024 bei Rowohlt und kann in jedem Buchgeschäft – online wie offline – vorbestellt werden. Darum geht’s:
Ob #metoo oder die Proteste im Iran: In den letzten Jahren gab es zahlreiche Anlässe, bei denen Frauen füreinander eintraten. Ein Prinzip, das schon die Feminist:innen der 1970er-Jahre propagierten – nicht umsonst lautete einer ihrer bekanntesten Slogans: Sisterhood is powerful! Aber Schwesterlichkeit ist mehr als Networking, mehr als weibliche Solidarität. Es ist eine politische Praxis. Julia Korbik setzt sich mit dem Prinzip der Schwesterlichkeit auseinander, will verstehen, wie sie aussehen kann – und was sie verhindert. Sie hinterfragt den Feminismus der letzten Jahre und erforscht dieses Thema anhand persönlicher Anekdoten, Beispiele aus Literatur, Popkultur, Geschichte und Gesellschaft inspirierend, nuanciert und neugierig.
Lesungen Schwestern 2024
Nicht für alle Veranstaltungen stehen Ort und Uhrzeit schon fest. Eine aktualisierte Veranstaltungsliste findet sich auf meiner Webseite.
30. Januar: Berlin // Buchpremiere (moderiert von Sonja Eismann, Missy Magazine)
Pfefferberg Theater, 20 Uhr (Tickets)
20. Februar: Hamburg
P’Ti Breizh, 20 Uhr
27. Februar: Köln
Stadtbibliothek, 19 Uhr (Infos & Tickets)
29. Februar: Berlin
Buchhandlung Chaiselongue (Infos & Tickets)
6. März: Nürnberg
Z-Bau, 19.30 Uhr (Infos & Tickets)
7. März: München (moderiert von Barbara Streidl, Frauenstudien München)
Juristische Bibliothek
8. März: Hanau
Kulturforum, 18 Uhr (Infos)
12. März: Potsdam
Wissenschaftsetage im Bildungsforum Potsdam, 18 Uhr
Sonstiges
2. Februar: Moderation der Diskussionsrunde #MeToo in der französischen Gegenwartsliteratur / Écrire #MeToo – Regards interdisciplinaires sur un phénomène littéraire actuel (mit Manon Garcia, Jennifer Tamas und Vanessa Springora)
Sprache: Französisch mit deutscher Simultanübersetzung
Institut Français Berlin, 18 Uhr (Infos)
Anmeldung unter anmeldung.berlin@institutfrancais.de
Wer es noch nicht mitbekommen hat: Letztes Jahr habe ich zusammen mit der Zeichnerin Julia Bernhard eine Graphic Novel über Simone de Beauvoir veröffentlicht – ein Projekt, das uns nicht nur viel Spaß gemacht, sondern auch viele positive Reaktionen eingebracht hat. Im Februar erscheint das Buch übrigens auf Französisch, eine spanische Version gibt es bereits.
13. März: Diskussion rund um die Graphic Novel Simone de Beauvoir. Ich möchte vom Leben alles (Sprache: Französisch)
Marseille, Centre Franco-Allemand de Provence
7. April: Comic-Lesung Simone de Beauvoir. Ich möchte vom Leben alles (zusammen mit Zeichnerin Julia Bernhard)
Karlsruhe, PrinzMaxPalais, 19 Uhr (Infos & Tickets)