Frau Korbik 08 // Besser als Pralinen
Pünktlich zum Weltfrauentag platzte letzten Monat mein virtuelles Postfach vor lauter frauentagsspezifischen Angeboten mal wieder aus allen Nähten. Unter dem so schönen wie vagen Begriff „Empowerment“ und #frauentag sollten mir diverse Produkte angedreht werden, und auch in den sozialen Netzwerken wimmelte es nur so von Kampagnen, in denen Influencerinnen im Namen der Gleichberechtigung für große Marken und Unternehmen warben. Feminismus ist in den letzten Jahren käuflich geworden, oder zumindest wird so getan, als ob. Das zeigt sich nirgendwo deutlicher als am Weltfrauentag, der in der öffentlichen Wahrnehmung mittlerweile sowieso zu einer Mischung aus Valentinstag („Sag ihr, wie sehr du sie liebst!“) und Muttertag („Schenk Mama ein paar Blumen!“) mutiert ist. Statt Gleichberechtigung gibt es für Frauen Pralinen und warme Worte.
Man merkt: Ich bin kein großer Fan des Weltfrauentags. Wobei, das stimmt so auch nicht. Vielleicht müsste ich eher sagen: Ich bin kein großer Fan davon, wie der Weltfrauentag aktuell begangen wird. Regelmäßig werde ich vor dem 8. März gefragt, wie ich denn diesen Tag „feiern“ würde (tatsächlich ist der Weltfrauentag in Berlin offiziell ein Feiertag). Worauf ich zu antworten pflege, dass ich lieber vom „feministischem Kampftag“ sprechen würde, denn es gehe ja nicht ums Feiern, sondern darum, auf Missstände aufmerksam zu machen.
In einer idealen Welt wäre jeden Tag Weltfrauentag, in dem Sinne, dass das Thema Gleichberechtigung immer im Mittelpunkt stehen sollte – oder nein, in einer idealen Welt gäbe es gar keinen Weltfrauentag, weil Gleichberechtigung erreicht und dieser Tag somit unnötig wäre. Aber wir leben nicht in einer idealen Welt und so ist der Weltfrauentag nun einmal der eine Tag im Jahr, an dem das Thema Gleichberechtigung garantiert im Mittelpunkt steht. Und deshalb ist er, so problematisch ich die Art und Weise finde, wie er durch die Industrie vereinnahmt und als Marketingtool genutzt wird, eine gute Gelegenheit, eines ganz deutlich zu machen: Von einer gleichberechtigten Gesellschaft sind wir noch meilenweit entfernt. Und das betrifft nicht nur die Gleichberechtigung von Frauen, sondern auch die von Menschen mit einer Geschlechtsidentität, die sich nicht in die binäre Matrix männlich/weiblich quetschen lässt, mit sexuellen Orientierungen, die nicht dem (vermeintlichen) Standard „heterosexuell“ entsprechen, und und und.
Wir brauchen den Weltfrauentag, noch. Nicht nur wir: Ich brauche ihn. Das habe ich dieses Jahr noch einmal ganz deutlich gemerkt, auch dank der Pandemie. Weil dieser Tag für mich oft anstrengend und stressig ist – aber er mir gleichzeitig erlaubt, Kraft und Motivation zu schöpfen, und zwar im Austausch mit anderen Menschen, die sich ebenfalls für Gleichberechtigung einsetzen. Gerade an diesem 8. März hat es so wahnsinnig gut getan, mit wundervollen Frauen und Mädchen – virtuell – darüber zu sprechen, was alles in Sachen Gleichberechtigung noch passieren muss, wie wir das gemeinsam hinkriegen, und was jede von uns tun kann. Am Ende klappte ich erschöpft, aber inspiriert und motiviert, den Laptop zu. Ich mag mich über frauentagsspezifische Werbe-Mails ärgern, die mir im Namen des Feminismus etwas verkaufen wollen. Aber ich ärgere mich ganz sicher nicht über all die tollen Menschen, die ich jedes Jahr dank des Weltfrauentags treffen, und mit denen ich mich austauschen darf. Das ist besser als jede Praline.
Gehört
Disney+ macht mich gerade sehr sehr glücklich, denn der Streaming-Dienst hat mir nicht nur die verstörend gute und berührende Marvel-Serie WandaVision beschert – in der zwei Superheld*innen aus zunächst ungeklärten Gründen innerhalb alter Fernseh-Sitcoms zu leben scheinen –, sondern auch den zur Serie gehörenden Smash Hit Agatha All Along. Die genauen Hintergründe zu Agatha Harkness (gespielt von der großartigen Kathryn Hahn) sollen an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden. Die einzig wichtige Information ist die, dass Agatha eine Hexe (und Hundemörderin!) ist, und über mehrere Folgen im Hintergrund geschickt und unbemerkt ihre Fäden gezogen hat. Bis sich in Folge sieben herausstellt: It was Agatha all along! Geschrieben wurde das Lied übrigens von dem Ehepaar Robert Lopez und Kristen Anderson-Lopez, das auch hinter einem anderen Smash-Hit steckt, nämlich Let it go (aus Disneys Frozen). Kein Wunder also, dass ich Agatha sich in meinem Gehörgang eingenistet hat und da offenbar so schnell nicht mehr raus will – naughty Agatha!
Gelesen
Eine der positiven Seiten an meinem Beruf ist, dass mir Verlage Bücher zuschicken, und ich so schon viele tolle Autor*innen und Werke entdeckt habe. Sehr beeindruckt hat mich Kim Jiyoung, geboren 1982 von Cho Nam-Joo (übersetzt von Ki-Hyang Lee). Am Anfang des Romans – der mittlerweile zum weltweiten Bestseller mutiert ist – steht die Frage, was nicht stimmt mit Kim Jiyoung, einer 33-Jährigen Koreanerin, glücklich verheiratet und Mutter einer reizenden kleinen Tochter. Ist Kim Jiyoung pychisch krank? Ist sie „verrückt“? Die Antwort von Autorin Cho Nam-Joo lautet: Mit Kim Jiyoung stimmt alles – es ist die koreanische Gesellschaft, die krank ist, und die wiederum Frauen krank macht. Präzise und akribisch schreibt Cho Nam-Joo über den täglichen Sexismus in Korea, darüber, dass Frauen Menschen zweiter Klasse sind und auch so behandelt werden. Darüber, wie aus vielen kleinen Dingen ein Muster entsteht, aus dem auszubrechen nahezu unmöglich ist.
„Während Jungs sich ganz natürlich als Erste in die Schlange stellten, als Erste ihr Referat halten durften und ihre Hausaufgaben als Erstes kontrolliert wurden, warteten Mädchen still darauf, an die Reihe zu kommen, manchmal ein bisschen gelangweilt, manchmal erleichtert, aber niemals irritiert darüber. So wie niemand hinterfragt, warum die Nummer des Personalausweises bei Männern mit einer 1 und bei Frauen mit der Ziffer 2 beginnt.“
Gesehen
Weil die vierte Staffel der brillanten Serie Call My Agent in Deutschland dreisterweise immer noch nicht angelaufen ist (während der Rest der Welt sie bereits auf Netflix schaut), ich aber dringend etwas Französisches gucken wollte, landete ich schließlich bei der Arte-Serie In Therapie. Die Handlung setzt im Herbst 2015 ein, einen Tag nach den Pariser Anschlägen. Woche für Woche empfängt der Psychotherapeut Philippe Dayan Patient*innen, die auf ganz unterschiedliche Weise von dem Geschehenen betroffen und traumatisiert sind. Das Ganze ist hochkarätig besetzt (u.a. mit Clémence Poésy) und toll gespielt, und legt behutsamen die Brüche und Widersprüche der französischen Gesellschaft offen. Am Ende liegen nicht nur die Patient*innen auf der Couch, sondern ein ganzes Land.
In eigener Sache (#SELFPROMOTION)
Für ZDFheute.de habe ich über Gewalt gegen Frauen geschrieben und darüber, wie dank der Pandemie dieses Thema nun – zumindest momentan – auf der politischen Agenda nach oben gerutscht ist.
Letztes Jahr habe ich für das Magazin agora42 ein Kurzporträt von Simone de Beauvoir geschrieben, das nun online ist.
Für This is Jane Wayne habe ich über den Mord an Sarah Everard geschrieben und warum sich dieses Verbrechen für so viele Frauen so persönlich anfühlt.
Ein etwas lebensbejahenderer Text: Warum ich Kochbücher wie Romane lese.
Bonjour Liberté ist endlich erschienen und ich habe unter anderem hier darüber gesprochen. Auf SWR2 gibt es außerdem eine sehr nette Kritik. Zur von mir zusammengestellten Bonjour Liberté-Playlist geht es hier entlang.