Frau Korbik #07 // Bonjour Liberté
Wer wie ich vom Schreiben lebt, ist auf Ideen angewiesen. Ideen, worüber ich schreiben will, Ideen, aus denen ein Artikel, ein Newsletter-Text oder gar ein ganzes Buch entstehen kann. Manche Ideen machen sich rar und halten mich auf Abstand, sie entziehen sich mir und es ist, als könnte ich sie nur verschwommen aus dem Augenwinkel wahrnehmen. Manche brauchen Zeit, köcheln gemächlich vor sich hin. Manche brauchen einen zweiten, einen dritten, einen vierten Blick. Und dann sind da die Ideen, die sich rücksichtslos an den anderen vorbeidrängeln, die sich aufdrängen. Die plötzlich in meinem Kopf sind und sich da gemütlich einrichten. So ging es mir mit der Idee zu Bonjour Liberté. Eigentlich war ich gedanklich mit einer anderen Buchidee beschäftigt, die sich mir jedoch hartnäckig verweigerte – seit Monaten hatte ich versucht, meine Gedanken zu ordnen und sie schriftlich festzuhalten. Erfolgslos.
Damals las ich gerade Agnès Poiriers wundervolles Buch An den Ufern der Seine. Die magischen Jahre von Paris 1940-1950. Darin tauchen viele meiner Lieblingscharaktere auf, unter anderem Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre. Und dann, fast ganz am Ende, ist da ein Teenager namens Françoise Quoirez – eine junge Frau, aus der nur wenige Jahre später die weltberühmte Schriftstellerin Françoise Sagan wird. Sagan und die gleichaltrige Brigitte Bardot, schrieb Poirier, seien Gesichter eines neuen Frankreichs gewesen, eines jungen, optimistischen Frankreichs; Idole einer Generation, die den Zweiten Weltkrieg nur als Kinder erlebt hatte.
In meinem Kopf machte es boum und ich wusste: Das ist sie. Die Idee für ein Buch. Ich ging zu meinem Bücherregal und begann, alles von Sagan zu lesen, was da herumstand (einiges) und schon länger nicht mehr zur Hand genommen worden war (ebenfalls einiges). In meinem Kopf wuchs und gedieh die Idee, ich musste ständig an sie denken – ein vielversprechendes Zeichen. Im Laufe der Zeit veränderte sich die Idee. Erst wollte ich sowohl über Sagan als auch über Bardot schreiben, über ihre Freundschaft, aber letztendlich stellte sich Sagan doch als die spannendere der beiden Frauen heraus (und als politisch nicht so problematisch wie Bardot, die heute vor allem mit rassistischen und anti-muslimischen Aussagen auffällt). Zwischendurch überlegte ich, doch eine umfassende Biografie über Sagan zu schreiben, nur, um am Ende bei meiner Ursprungsidee zu bleiben: mir eine Zeit in Françoise Sagans Leben herauszugreifen, die prägend für sie war. Ich wählte die 1950er, das Jahrzehnt, in dem Bonjour Tristesse erschien und aus der gescheiterten Studentin und Tochter aus gutem Hause Françoise Quoirez die berühmt-berüchtigte Schriftstellerin Françoise Sagan wurde.
Mittlerweile ist aus der Idee ein richtiges, gedrucktes Buch geworden. Fast zwei Jahre habe ich mit der Arbeit daran verbracht, mit Françoise Sagan, dieser hedonistischen und freiheitsliebenden Whisky-Liebhaberin, die stets auf der Überholspur durch ihr Leben brauste, und so poetische wie hellsichtige Sätze schrieb und sprach, dass man sich am liebsten jeden einzelnen davon als Zitat an die Wand hängen möchte.
Bis Bonjour Liberté erscheint, dauert es noch ein paar Tage (neun, um genau zu sein) – in der Zwischenzeit macht die folgende Leseprobe hoffentlich Lust darauf, Françoise Sagan (neu) zu entdecken. In diesem Sinne: Bonne lecture!
DIE SOMMERFERIEN 1953 verbringt Françoise mit ihrer Familie an der französischen Atlantikküste, in Hossegor. In Briefen an Louis in Grenoble beschreibt sie ihren Tagesablauf: »Um 9 Uhr 30 esse ich einen Pfirsich, um 11 Uhr gehe ich schwimmen, um 2 Uhr lese ich oder spiele mit meiner Familie Bridge, um 5 Uhr Schwimmen, um 7 Uhr Aperitif; ich esse auch zu normalen Uhrzeiten.« Eine nur scheinbar perfekte Idylle, denn Anfang des Sommers ist Françoise durch ihr Examen gefallen, hat also ihr erstes Jahr an der Uni nicht bestanden. Zwar gibt es die Möglichkeit, die Prüfung im September zu wiederholen, aber Françoise hat längst beschlossen, dass das für sie nicht in Frage kommt. Ihre Uni-Karriere ist somit beendet, bevor sie richtig angefangen hat. Während ihre Familie sich gutgelaunt darüber lustig macht, überlegen Marie und Pierre Quoirez, was zum Himmel sie mit ihrer Jüngsten machen sollen. Verheiraten? Doch Françoise als folgsame Ehefrau kann sich wohl niemand wirklich vorstellen. Bleibt die Frage, was Françoise stattdessen mit ihrem Leben machen will. Vielleicht Ärztin werden? Aber das würde wiederum bedeuten, ein neues Studium zu beginnen, und das traut Françoise sich – klarsichtig – nicht zu. Was bleibt also? Die Antwortet lautet, natürlich: Schreiben. Allein, um ihrer Familie zu beweisen, dass sie es sehr wohl zu etwas bringen kann. Kurzentschlossen lässt Françoise ihre träge Urlaubsroutine mit Pfirsich und Bridge hinter sich und kehrt im Juli, zur großen Überraschung ihrer Familie, nach Paris zurück. Nur Papa Pierre leistet ihr dort Gesellschaft.
Françoise verbringt die folgenden Wochen damit, ihren in Pariser Cafés verfassten Romanentwurf zu überarbeiten. Wie schon im Jahr zuvor verzichtet sie auf Strand, Meer, einen Sommer außerhalb des stickigen Paris – aber diesmal tut sie es freiwillig. Mit zwei Fingern tippt sie auf der Schreibmaschine ihre Geschichte, die Geschichte, die kein Jahr später als Bonjour Tristesse veröffentlicht wird. Den Titel stibitzt Françoise aus einem Gedicht von Paul Éluard:
»Trauer leb wohl
Trauer willkommen
Eingeschrieben in die Linien an der Decke
Eingeschrieben in die Augen die ich liebe«
Oft fällt Françoise das Schreiben schwer. Vor allem deshalb, weil sie Angst hat – Angst davor, nicht gut genug zu sein, den eigenen Ansprüchen nicht zu genügen. Sie kann sich kaum dazu bringen, das am Vortag Geschriebene noch einmal zu lesen, befürchtet sie doch, dass auf den getippten Seiten nur Unzulängliches steht. Stets klafft eine Lücke zwischen der im Kopf entworfenen, perfekten Geschichte und dem, was am Ende auf den Seiten landet. Ein Abgrund zwischen dem, was man schreiben möchte, und dem, was zu schreiben man in der Lage ist. Immer wieder ist Françoise in Versuchung, alles in den Papierkorb zu werfen. Aber sie macht weiter. Jeden Tag setzt sie sich hin und klappert auf der Schreibmaschine. Zum ersten Mal in ihrem Leben wählt sie Arbeit statt Müßiggang.
Nach wenigen Wochen, gegen Ende August, ist das Werk vollbracht. In einer dramatischen Geste der Befreiung wirft Françoise ihr Tagebuch ins Feuer: Sie hat sich neu erschaffen, das, was im Tagebuch steht, entspricht ihr nicht mehr. Eine neue Ära beginnt. Françoise ist nicht mehr Studentin, aber noch keine Schriftstellerin. Sie befindet sich in einer Zwischenwelt ohne klar definierte Konturen, begierig darauf, endlich zu sein. Doch diese Veränderung hat stattgefunden, ohne dass andere etwas davon bemerkt haben. Es gibt keine äußeren Zeichen des inneren Wandels an Françoise, in den Augen ihrer Familie und Freund*innen ist sie immer noch die Gleiche: liebenswert, aber ziellos. Wie frustrierend das sein muss. Die Eltern wissen zwar, dass ihre Kiki an einem Roman arbeitet, so richtig ernst nehmen sie das Unterfangen jedoch nicht. Kaum verwunderlich angesichts Françoises bisheriger »Karriere«, die aus einer schwierigen Schullaufbahn und einem abgebrochenen Studium besteht.
Véronique hingegen glaubt an ihre Freundin und schlägt ihr vor, eine Wahrsagerin aufzusuchen. Ein Blick in die Zukunft kann ja nicht schaden! Die Wahrsagerin, Madame Poignant, betrachtet eingehend Françoises Hand, fährt mit ihren Fingern die Linien nach. Dann verkündet sie: »Sie sind vom Glanz des Ruhms umgeben.« Das überrascht Françoise ganz und gar nicht, vielmehr bestätigt es etwas, das sie, unbewusst, schon längst geahnt und herbeigesehnt hat: Sie ist nicht wie die anderen, und ihr Leben wird nicht gewöhnlich sein. Ruhig hört sie zu, als die Wahrsagerin ihr erklärt, sie würde ein Buch schreiben und dieses Buch würde die Meere überqueren. Als Françoise Madame Poignant nach dieser erfreulichen Enthüllung verlässt, fühlt sie sich motiviert und angespornt. Sie beschließt, ihr Manuskript professionell abtippen zu lassen. Schon allein deshalb, weil »Schriftstellerin werden« gerade der einzige Zukunftsplan ist, den sie hat. Die stets hilfsbereite Véronique springt ein und leiht ihrer Freundin das benötigte Geld. Kurze Zeit später hält Françoise mehrere abgetippte Exemplare ihres Romans in der Hand. Als sie Florence davon berichtet, ist die erst mal skeptisch. Françoise redet schon so lange von diesem Roman, dass er Florence eher wie ein Mythos vorkommt. »Und, kann ich ihn lesen?«, fragt sie. »Nein, er ist zu schlecht. Und außerdem bist du zu kritisch«, antwortet Françoise. Später überlegt sie es sich doch noch anders und übergibt Florence eines ihrer Exemplare. Die Freundin liest das Manuskript in einem Rutsch durch und ruft Françoise frühmorgens an: »Alles ist gut. Du bist eine Schriftstellerin.«
Bonjour Liberté. Françoise Sagan und der Aufbruch in die Freiheit erscheint am 15. März 2021 bei Hanser Berlin und kann überall vorbestellt und gekauft werden, wo es Bücher gibt. Die Buchpremiere findet am 25. Mai im Pfefferberg Theater in Berlin statt. Tickets gibt es hier.
Mit den lustigen und fantastischen Ladies vom Comedy-Podcast Schamlos habe ich über Françoise Sagan, Freiheit und Freisein gesprochen – inklusive der ein oder anderen Impro-Comedy-Einlage (keine Sorge, nicht von mir!). Zu hören gibt es die Folge überall, wo es Podcasts gibt, oder hier.