Frau Korbik #05 // Ich fühl mich Disco
Als Teenager ging ein Großteil meiner Freizeit für das Studium sogenannter Mädchenzeitschriften drauf: Sugar, Mädchen, Bravo Girl und Co. Ab und zu kaufte ich eine Frauenzeitschrift – aber mit meinem Alltag schien die meisten der dort behandelten Themen (u.a. verruchte Dessous) doch eher wenig zu tun zu haben. In den Mädchenzeitschriften hingegen lernte ich all die überlebenswichtigen Dinge, die mir in der Schule nicht beigebracht wurden, zum Beispiel, wie man aus Joghurt und Zitrone eine Maske mit Peeling-Effekt herstellt. Vor allem lernte ich, was Jungs wollen, nämlich, dass man sie so schräg von unten durch die Wimpern anguckt, was genauso kompliziert ist, wie es klingt. Es ging viel um Jungs in meinen Zeitschriften und das war gut, denn kaum etwas interessierte meine Freundinnen und mich so sehr.
Wir lasen, wie man sie auf sich aufmerksam macht (Grundvoraussetzung: super aussehen, siehe Joghurt-Zitronen-Maske), wie man mit ihnen ins Gespräch kommt („10 freche Flirtsprüche“) und vor allem: wie man sich auf einem Date mit ihnen verhält. Denn das war das ultimative Ziel: ein Date haben. Mit einem Jungen. Das Problem bestand natürlich darin, dass, kaum war man gefragt worden – merke: Er muss immer den ersten Schritt machen! – schon das nächste Problem wartete: Was bitte sollte man mit dem, nun, jungen Mann (im Zeitschriften-Sprech gerne Boy genannt), anfangen? Mädchen & Co, vertraut mit jeder Phase des Balzprozesses und den Nöten junger Menschen, boten hier selbstverständliche eine Fülle von Vorschlägen. Aber beim ersten Date mit dem Jungen unseres Herzens einen Töpferkurs besuchen? Das schien uns viel zu stressig. Was, wenn man Ton auf die sorgfältig ausgewählten Klamotten bekam?
Besser war da eindeutig die Eisdisco. Meine Heimatstadt Herne hatte nicht viel, was ein Teenager-Herz hüpfen lässt, aber sie hatte die Eisdisco in der Eissporthalle Gysenberg. Vom Spätherbst bis zum Frühfrühling, an ausgewählten Wochenenden. Für mich ein idealer Ort, um süße Boys zu treffen. Erstens, weil ich Schlittschuhlaufen konnte. Und wie! Schließlich hatte ich jahrelang einen Ferienkurs in der Eishalle besucht, an dessen Ende ein Herr mit starkem polnischen Akzent und militärischer Haltung mir Rückwärtsübersetzen, Drehungen und andere beeindruckende Sachen beibrachte. Zweitens war die Eishalle direkt bei mir um die Ecke, was garantierte, dass ich beim Date in etwa so ankam, wie ich das Haus verlassen hatte: sorgfältig zurechtgemacht. Drittens sorgte die laute Musik in der Eisdisco dafür, dass man ein Date haben konnte – zu zweit oder in der Gruppe –, ohne dabei in die Verlegenheit zu kommen, sich tatsächlich unterhalten zu müssen. Denn so sehr Sugar uns versicherten, das sei alles easy, wenn wir nur entspannt und ganz „wir selbst“ wären – so richtig glaubten wir das nicht.
Einen großen Nachteil allerdings hatte die Eisdisco: die Kleidung. Eishallen haben es an sich, kalt zu sein, und Kälte erfordert warme Kleidung. Eine Herausforderung für meine Freundinnen und mich, erschien es uns doch rätselhaft, wie man in dicken Pullis und Daunenjacken auch nur annähernd ansprechend aussehen kann. Die Devise lautete also: den Temperaturen entsprechend anziehen, nicht frieren, dafür aber aussehen wie das Michelin-Männchen. Oder: sich nicht den Temperaturen entsprechend anziehen, frieren, dafür aber verführerisch aussehen (oder was wir in unseren Mädchenzeitschriften-manipulierten Hirnen darunter verstanden).
Und so zogen wir unsere Runden, begleitet von der typischen Musik der frühen 2000er, eine seltsame Mischung aus R’n’B, Techno und Pop. Ich übersetzte rückwärts und machte Drehungen, bis mir einfiel, dass in den Mädchenzeitschriften immer davor gewarnt wurde: einem Jungen zu zeigen, dass man etwas gut konnte. Also fuhr ich nicht mehr rückwärts, sondern nur noch vorwärts, zu den Klängen der Musik. Runde um Runde. Manchmal fuhr einer der Boys neben mir oder wollte, dass ich mich an der Bande mit ihm unterhalte. Aber wozu sich krampfhaft an die coolen Flirtsprüche in der Bravo Girl zu erinnern versuchen oder an der Bande herumstehen, wo ich in meinem viel zu dünnen Oberteil nur frieren würde? Ich zog weiter meine Runden, die Musik floss durch mich, ich fror, aber nur ein bisschen.
Ach, die Boys. Sie waren ja süß, aber irgendwie störten sie nur bei meinem Date. Meinem Date mit der Eisdisco.
Gehört
Angesichts der Tatsache, dass (große) Parties dieses Jahr mehr oder weniger ausgefallen sind und niemand weiß, wann sie überhaupt wieder stattfinden dürfen, bleibt mir nichts anderes übrig, als mir die Disco nach Hause zu holen. Im Frühjahr begleitete mich Dua Lipas Future Nostalgia: ein hervorragendes Disco-Pop-Album mit cleveren Samples und futuristischem Retro-Charme.
Nun hat auch Kylie Minogue die Tanzschuhe ausgepackt und sich in das kleine Glitzernde geschmissen. Auf ihrem schlicht Disco betitelten neuen Album singt sie sehnsüchtig „I feel like anything could happen“ und träumt sich zurück auf den Dancefloor. Im wahren Leben mögen durchtanzte Nächte noch in weiter Ferne liegen – aber zumindest gibt es Musik, die dabei hilft, die lange Zeit des Wartens zu überbrücken.
Gelesen
Ich würde mich nicht unbedingt als Fan von Psychothrillern bezeichnen. Aber manchmal, so ein, zweimal im Jahr, packt es mich – und ich lese mehrere Psychothriller hintereinander. Dann reicht es mir wieder für ein paar Monate. Bis es mich von Neuem packt. Dieses Jahr habe ich mehr Psychothriller als sonst gelesen, was ich mir nur mit der allgemein düsteren Stimmung erklären kann, zu der diese Art von Buch hervorragend zu passen schien. Besonders beeindruckt haben mich zwei irische Autorinnen.
Da wäre zunächst After the Silence von Louise O’Neill (Autorin u.a. von Du wolltest es doch) über den Mord an einer jungen Frau auf der fiktiven irischen Insel Inisrún. Während des Mordes tobte ein Sturm, die Verbindung zum Festland war unterbrochen – weshalb Tessa Crowleys Mörder*in sich auf der Insel befunden haben muss. Und doch wurde nie jemand offiziell angeklagt. Zehn Jahre später bekommen Henry und Keelin Kinsella, Gastgeber*innen der Party, auf der Crowley starb, Besuch von zwei Dokumentarfilmern, die die Wahrheit über den Mord herausfinden wollen. Erinnerungen kommen hoch und das sorgsam arrangierte Leben der Kinsellas droht, auseinanderzubrechen. Louise O’Neill ließ sich von realen Ereignissen inspirieren, aber ihr Roman ist so viel mehr nur ein simples „Wer ist’s gewesen?“. Nuanciert und packend schreibt sie über Missbrauch, Leid und Verdrängung – und darüber, dass hinter jedem „true crime“ ein menschliches Schicksal steckt.
Die andere Irin, deren Bücher ich verschlungen habe, ist Tana French: Sie lässt den Dublin Murder Squat ermitteln und das Besondere daran ist, dass in jedem Buch ein*e andere*r Ermittler*in im Mittelpunkt steht – Nebencharaktere können zu Hauptcharakteren werden und Hauptcharaktere als Nebencharaktere wieder auftauchen. Die ersten Bücher der Serie spielen im Irland nach der Wirtschaftskrise 2008, in einem gebeutelten, verunsicherten Irland, in dem Lebensträume zerplatzen und die Zukunft ungewiss ist. Tana Frenchs Romane sind nicht nur packend und gut strukturiert – sie sind vor allem toll geschrieben. Große Literatur, in der es eben um Mord und Todschlag geht. Zu empfehlen sind alle French-Bücher, aber der beste Einstieg ist In the Woods (dt. Grabesgrün), Frenchs preisgekröntes Debüt von 2007: An einer Ausgrabungsstätte bei Dublin wird ein Mädchen tot aufgefunden, aufgebahrt auf einem Opferaltar. Die Ermittler*innen Rob Ryan und Cassie Maddox übernehmen den Fall. Was niemand weiß: Vor zwanzig Jahren war Ryan selbst Teil eines Kriminalfalls, und zwar in dem Wald, in dem er und seine Partnerin nun nach Spuren suchen. Zusammen mit zwei Freund*innen betrat er den Wald – und kam als einziger wieder heraus.
Gesehen
Momentan gibt es wenig zu lachen – umso mehr habe ich mich über diese Geschichte amüsiert: In der TV-Show The Great British Bake Off, in der Hobby-Bäcker*innen um die Wette backen, lautete die Aufgabe, einen Kuchen zu gestalten, der wie ein berühmte Persönlichkeit aussieht. Nun, eine der in Teigform verewigten Celebrities war Oscar-Preisträgerin Lupita Nyong’o… und das kam dabei heraus:
Zum Vergleich: So sieht Nyong’o in Wirklichkeit aus:
Immerhin scheint der Kuchen gut geschmeckt zu haben.
Gegessen
Viel zu viele Pralinen. Ein Besuch in den Berliner Galeries Lafayette brachte mich dazu, eine Packung überteuerter französischer Pralinen zu kaufen – kleine, perfekt geformte Stücke cremiger Milchschokolade mit Praliné-Füllung. Ich bereue nichts. Zumal mich der Kauf der Pralinen davor bewahrte, mich auf einen Schokoladen-Panettone zu stürzen, dessen Anschaffung sich aufgrund von Größe und Preis selbst vor meinen gierigen Augen nicht rechtfertigen ließ. Zumal für eine Person. Wenn das nicht die wahren Probleme des Alleine-Lebens sind.
In eigener Sache (#SELFPROMOTION)
Wenn es etwas gab, was mich in diesem so seltsamen Jahr 2020 davor bewahrt hat, völlig zu verzweifeln, dann war es die Arbeit an diesem Buch: Bonjour Liberté. Françoise Sagan und der Aufbruch in die Freiheit. Darin geht es um die französische Schriftstellerin Françoise Sagan, die 1954 mit ihrem Debütroman Bonjour Tristesse auf Anhieb einen Weltbestseller landete – und das mit gerade einmal 18 Jahren. Eine klassische Biografie ist das Buch allerdings nicht, der Fokus liegt auf den 1950ern: Das Jahrzehnt, in dem Sagan berühmt (und berüchtigt wurde), in dem sie vor dem Hintergrund des Kalten Kriegs und zwischen zwei Wellen der Frauenbewegung nach ihrem Platz in der Welt suchte.
Bonjour Liberté erscheint am 15. März 2021 bei Hanser Berlin, einem tollen Verlag mit engagiertem und vielfältigem Programm – ich könnte nicht glücklicher sein, jetzt auch offiziell Teil der Hanser-Familie zu sein. Alle Infos zum Buch und zum Rest des Hanser Berlin-Frühjahrsprogramms gibt es hier. Und, weil ich schon öfter danach gefragt wurde: Ja, man kann das Buch vorbestellen! Am besten im Kiez-Buchladen eures Vertrauens.
Wie so viele viele andere habe ich die neue Netflix-Mini-Serie The Queen’s Gambit geguckt und musste mich wirklich dazu zwingen, nicht in einen Binge-Watching-Rausch zu verfallen. Über eine Szene, dir mir dabei besonders im Gedächtnis geblieben ist, habe ich für This is Jane Wayne geschrieben.
Im November habe ich für das Institut Français Bremen und die Heinrich-Böll-Stiftung Bremen einen kleinen Online-Vortrag zu Simone de Beauvoir gehalten. Darin geht es vor allem um Feminismus à la Beauvoir und warum dieser heute noch relevant ist. Der komplette Vortrag mit anschließender Fragerunde kann hier angeschaut werden.
Für das Almost Magazine, dessen dritte Ausgabe zum Thema „Secrets“ gerade erschienen ist, habe ich eine Kurzgeschichte geschrieben: In Hohe Erwartungen mit Schlagsahne geht es um eine Familienfeier, ums Single-Dasein und um, wie der Titel schon sagt, hohe Erwartungen.
Natürlich sind auch die anderen (mal englischen, mal deutschen) Texte in der Ausgabe absolut lesenswert – meine Schwester empfiehlt Mein Vater was a Rolling Stone. Das Almost Magazine wird liebevoll und mit viel Energie von einem kleinen Team rund um die fabelhaften Krutmann-Schwestern Hannah und Marie produziert und eignet sich hervorragend als Weihnachtsgeschenk (hier kann es bestellt werden).