Frau Korbik #03 // Männer, die die Welt erklären
Letztes Jahr war ich, wie in den Jahren davor, auf der Frankfurter Buchmesse unterwegs (die dieses Jahr coronabedingt mehr oder weniger ausfällt). Norwegen war Gastland und eine Freundin, die einen kleinen Verlag leitet, hatte mich gebeten, ein Nachwort für die deutsche Übersetzung eines auf Norwegisch geschriebenen Romans einer dänischen Autorin zu verfassen (was für ein unnötig komplizierter Satz). Er handelt von einer surrealistischen deutschen Künstlerin, ist wunderschön geschrieben und sprachlich beeindruckend. Wochenlang recherchierte ich zu der Künstlerin, las ihre Bücher und Geschichten, betrachtete ihre Zeichnungen, machte Notizen und versuchte zu verstehen, wer diese Frau war. Was bewegte sie? Was trieb sie an? Sie faszinierte mich, besonders, weil mir in vielerlei Hinsicht ein Rätsel blieb, sich mir entzog. Selbst nach intensiver Recherche war es, als seien ihre Konturen verschwommen.
Kurz vor Beginn der Buchmesse erschien in einer deutschen Zeitung eine Kritik zu dem Buch. Sie war eher kurz – und beschäftigte sich zu circa 80 Prozent mit meinem Nachwort. Der Tenor der Kritik lautete: Ich hatte nichts verstanden, ich würde die Künstlerin ganz falsch präsentieren. Natürlich traf mich diese Kritik. Vielleicht hatte ich wirklich nichts verstanden. Vielleicht hätte jemand anderes das Nachwort schreiben sollen. Jemand, der mehr Ahnung hat.
Auf der Buchmesse angekommen, warnte meine Verlegerinnen-Freundin mich: Der Verfasser der Kritik sei auch vor Ort und wolle unbedingt mit mir sprechen. Tatsächlich, da war er schon. Ein älterer Mann, bebend vor Empörung. Das stimme doch alles nicht, was ich da in meinem Nachwort schreibe, verkündete er. Ich versuchte, mich zu verteidigen. Ich erzählte von meinen Recherchen, davon, warum ich das Nachwort so geschrieben habe, wie ich es geschrieben habe. Warum ich die Künstlerin so sehe und nicht anders. Der Kritiker ließ sich nicht überzeugen. Während der – sicher zwanzig Minuten dauernden – Diskussion war ich defensiv, weil ich glaubte, mit einem Experten zu sprechen. So hatte er sich mir präsentiert: Als ein Experte zu dieser Künstlerin und diesem Thema.
Bis er nebenbei fallen ließ, dass er fast nichts von der Künstlerin gelesen und gesehen hatte. Er kannte sie mehr oder weniger ausschließlich von einer Ausstellung über einen ihrer ehemaligen Partner, einen Maler, in Berlin.
Für einige Sekunden verschlug es mir die Sprache. Dieser Mann hatte mir ein Gespräch aufgedrängt und mich für etwas kritisiert, von dem er selbst kaum etwas wusste. Er hatte sich ganz selbstverständlich als Experten ausgegeben – und ich hatte das so akzeptiert. Ich hatte mich bereitwillig in die Rolle der naiven Schülerin begeben. Mehr noch: Ich hatte angefangen, meine eigene Arbeit zu hinterfragen, zu überlegen, ob dieser Mann Recht haben könnte mit dem, was er sagt.
Der Mann redete weiter und ich war einfach nur baff. Und gleichzeitig auf seltsame Art beeindruckt von seinem Selbstvertrauen. Ich erinnerte mich an einen Essay der amerikanischen Autorin Rebecca Solnit, der den Begriff mansplaining (etwa: männerklären) inspirierte. Darin schreibt Solnit über eine Party, auf der der Gastgeber sie in ein Gespräch verwickelte und gönnerhaft erklärte, er habe gehört, Solnit habe „ein paar Bücher geschrieben“. Solnit begann, von ihrem aktuellen Buch über den Fotografen Eadward Muybridge zu erzählen – kam aber nicht weit, denn der Gastgeber unterbrach sie, um von einem sehr wichtigen Buch zu berichten, dass gerade zu diesem Thema erschienen sei. Solnit schreibt:
„Ich ging so in der mir zugewiesenen Rolle der Naiven auf, dass ich ohne weiteres die Möglichkeit in Betracht zog, zeitgleich mit meinem könnte noch ein anderes Buch zum selben Thema erschienen sein, das mir vollkommen entgangen war. Er war schon dabei, mir von dem wichtigen Buch zu berichten – mit dieser selbstgefälligen Miene, die ich von schwadronierenden Männern so gut kenne, den Blick auf den fernen, unscharfen Horizont der eigenen Autorität gerichtet.“
Am Ende stellte sich heraus: Das Buch, von dem der Gastgeber sprach, war das von Solnit verfasste. Er hatte es nicht einmal gelesen, sondern kannte es nur aus einer Besprechung in der New York Times Book Review. In Solnits Essay taucht der Begriff mansplaining nicht explizit auf, aber er beschreibt treffend, worum es dabei geht – nämlich die herablassende Erklärung eines Mannes, der (fälschlicherweise) davon ausgeht, er wisse mehr über ein Thema als die Frau, mit der er spricht. Mittlerweile wird der Begriff mansplaining etwas wahllos verwendet, sobald etwas, was ein Mann sagt, als irgendwie besserwisserisch oder nervig empfunden wird. Aber dort, auf der Buchmesse, im Gespräch mit dem Kritiker, verstand ich – wieder einmal – genau, was Rebecca Solnit eigentlich hatte ausdrücken wollen.
Wie oft schon haben Männer mir erklärt, wie „ihr“ (gemeint war: „ihr“ Feminist*innen) den Feminismus besser und effizienter gestalten können. Wie oft haben Männer zu hochkomplizierten und philosophischen Vorträgen über Simone de Beauvoir angesetzt – nur um dann zuzugeben, dass sie nichts von Beauvoir gelesen hatten und ihr ganzes Wissen über sie (sofern überhaupt vorhanden) allein aus dem, allerdings wirklich exzellenten, Buch Das Café der Existenzialisten stammte. Und hier stand ich also mal wieder mit so einem Mann, der trotz seines vorhandenen Nichtwissens zu einem Thema dreist genug war, mir, die ich mich sorgfältig und lange mit diesem Thema beschäftigt hatte, meine Expertise abzusprechen.
Glücklicherweise tauchte irgendwann meine Freundin, die Verlegerin, auf, und verkündete, wir hätten noch einen anderen, wichtigen Termin und müssten jetzt leider weiter. Ich atmete durch. Und ärgerte mich über mich selbst. Darüber, wie willentlich ich mir von einem völlig fremden Mann hatte erklären lassen, wie unfähig ich bin. Wie dreist, ein solches Nachwort zu schreiben. Doch dann berichtete mir meine Freundin, der Kritiker habe von ihr wissen wollen, ob sie mein Nachwort denn überhaupt gelesen habe, bevor es gedruckt wurde – und ich musste lachen. Diese Unverschämtheit! Dieses durch nichts gerechtfertigte Selbstbewusstsein! Wie schreibt Rebecca Solnit so schön über das Gespräch mit dem arroganten Gastgeber:
„Als Frauen warteten wir höflich, bis wir außer Hörweite waren, ehe wir anfingen zu lachen, und wir lachen heute noch. Ich mag solche Begebenheiten, bei denen Kräfte, die normalerweise tückisch im Verborgenen wirken, sich gleichsam aus dem Gras hervorschlängeln und plötzlich so unübersehbar sind wie eine Anakonda, die eine Kuh verschlungen hat, oder ein Haufen Elefantenscheiße auf dem Teppich.“
Elefantenscheiße. So viel Elefantenscheiße.
Gelesen
Schon Herbert Grönemeyer fragte danach, wann ein Mann ein Mann ist. Gute Antworten darauf hat er offenbar nicht bekommen, aber damals war ja auch noch nicht JJ Bolas Buch erschienen: Sei kein Mann. Warum Männlichkeit ein Albtraum für Jungs ist. Bola, ein im Kongo geborener und in London lebender Schriftsteller und Aktivist, stellt viele wichtige Fragen:
„Was bedeuten unsere Auffassungen von Männlichkeit und die kulturellen Normen, in die eingebettet sind, für Jungs, die in der heutigen Zeit zu Männern heranwachsen? Was bedeuten sie für junge und ältere Männer, die in einer Gesellschaft leben, die sie dazu ermutigt, an der Wut festzuhalten, die das Leben von Frauen wie auch das Leben vieler Männer zerstört? […] Warum tauchen überwiegend Männer in den Statistiken von Gewaltverbrechen auf, insbesondere bei sexueller Gewalt, von Belästigung bis zu Vergewaltigung?“
Bolas Herangehensweise ist behutsam und offen, sein Ton versöhnlich. Trotzdem lässt er keinen Zweifel daran, dass unsere Auffassung und Definition von Männlichkeit sich grundlegend verändern muss, wenn es uns mit der Gleichberechtigung ernst ist.
Gesehen
Ruth Bader Ginsburg ist tot und wie so viele andere kann ich es nicht fassen. Ich dachte, sie würde ewig leben – was einigermaßen naiv ist angesichts der Tatsache, dass a) kein Mensch ewig lebt und b) Ginsburg 87 Jahre alt und krebskrank war. In den letzten Jahren, seit Trump die USA regiert, ist die linksliberale Richterin am Obersten Gerichtshof zu einer Retterin erklärt worden, zur Anführerin der #resistance. Ohne sie, so die – nicht unberechtigte – Befürchtung, würde die konservativ-reaktionäre Mehrheit im Obersten Gerichtshof siegen, hart erkämpfte Rechte wie das auf Abtreibung rückgängig gemacht. So lasteten auf den Schultern einer alten Dame die Hoffnungen von Demokrat*innen und linken Aktivist*innen – und vor allem von Frauen.
Was dabei in Vergessenheit geriet: Ruth Bader Ginsburg war nur eine Frau. Eine außergewöhnliche Frau, ja. Eine, die wie kaum eine andere das Projekt Gleichberechtigung in den USA konkret, geduldig und erfolgreich vorangebracht hat. Die fand, Frauen gehören überall dorthin, wo Entscheidungen getroffen werden, und dass auch Männer zu Hause bleiben und ihre Kinder betreuen können.
Aber sie war eben auch eine Frau, die zunehmend älter und kränker wurde. Wie verrückt, von ihr zu erwarten, dass sie allein eine ganze Demokratie vor dem Zerfall retten kann. Das heißt nicht, dass Ginsburg und das, was sie erkämpft hat, nicht zählt. Aber sie war Teil eines kaputten demokratischen Systems, eines Systems, an das sie selbst so fest glaubte. Sie glaubte an die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Institutionen und über ideologische und Parteigrenzen hinaus, an Konsens, und daran, dass die wirklich wichtigen politischen Vorhaben nicht vom Obersten Gerichtshof beschlossen, sondern im Kongress initiiert werden sollten. Doch so funktioniert es schon lange nicht mehr und die traurige Ironie ist, dass nun genau dieses kaputte System von Ginsburgs Tod profitiert.
Was bleibt da zu hoffen als das, was nun massenhaft in den sozialen Medien geteilt wird: „May her memory be a revolution”.
Gehört
Einer meiner Lieblings-Podcasts, der Lila Podcast, ist aus seiner mehrmonatigen Pause zurück, mit neuem Team und neuen Folgen. Gegründet wurde er 2013 von Katrin Rönicke und Susanne Klingner – sechs Jahre lang betrachteten die beiden, oft zusammen mit Barbara Streidl, das Weltgeschehen mit einer feministischen Brille, diskutierten über aktuelle Themen und Debatten und fragten danach: Geht das noch besser? Oder kann das weg? Der Lila Podcast war einer der ersten Podcasts überhaupt, die ich gehört habe, und umso mehr freue ich mich, dass es es jetzt mit neuem Schwung weitergeht.
Gekocht
Es wird zunehmend herbstlicher und was würde da besser passen als eine warme Suppe? Früher, da liebte ich Suppe. Ich konnte mich in sie hineinlegen, darin suhlen. Also, metaphorisch zumindest. Doch je älter ich wurde, desto weniger Suppe aß ich. Naserümpfend wandte ich mich von meinem ehemaligen Lieblingsessen ab und anderen Gerichten zu. Suppe, so empfand ich es, war nur ein halbes Essen. Etwas, das nie richtig satt machte, das irgendwie unbefriedigend war. Und dann, Jahre später, die Erkenntnis: Suppe kann sehr wohl ein „richtiges“ Essen sein – wenn sie eher an einen Eintopf erinnert. Und das tut dieses herbstliche Süppchen: Spinat (immer eine gute Idee) trifft auf leuchtende Möhren, sanfte Kokosmilch und würzigen Ingwer. Das Rezept stammt von meiner Mama, die es wiederum von jemandem aus ihrem weitverzweigten Bekanntenkreis hat. Zu meinem Lieblingsessen wird Suppe wohl nie wieder werden. Aber der Suhlfaktor bei dieser dickflüssigen Kreation ist schon ziemlich hoch.
Zutaten
1 große Zwiebel
1 Esslöffel Butter
1 kleines Stück Ingwer
1 kg Möhren
¾ Liter Gemüsebrühe
¾ Liter Kokosmilch
200 g TK-Spinat
Zubereitung
Den Spinat auftauen lassen. Zwiebel würfeln und in einem großen Topf in der Butter glasig andünsten. Den Ingwer klein schneiden und dazugeben.
Möhren würfeln und ebenfalls kurz mitdünsten. Alles mit der Brühe auffüllen und weich kochen lassen.
Alles pürieren und die Kokosmilch dazugeben. Salzen und pfeffern.
Den Spinat in der Suppe erwärmen.
Mit knusprigem Weißbrot servieren.
In eigener Sache (#SELFPROMOTION)
Für das Libertine Magazin habe ich mit den Unternehmerinnen Naomi Ryland (tbd*) und Lisa Jaspers (Folkdays) gesprochen. Die beiden haben ein Manifest für eine andere Arbeitswelt verfasst: Starting a Revolution ist im Econ Verlag erschienen.
Und: Für das Magazin wmn hat mich Njema Drammeh zum Thema moderner Feminismus interviewt.